Ältere Menschen und Migration
Es ist wichtig, Daten zu älteren Menschen und Migration zu erheben, diese auszuwerten und entsprechend zu verwerten, um daraus Erkenntnisse für die politische Entscheidungsfindung abzuleiten. Diese Anstrengungen tragen dazu bei, die UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) im Zusammenhang mit dem Altern zu erreichen, darunter das Ziel, die Menschenrechte von Personen jeden Alters zu schützen und dabei „niemanden zurückzulassen“ ebenso wie die Bemühungen, die Herausforderungen des Alterns im Rahmen der Politischen Erklärung und des Internationalen Aktionsplans von Madrid über das Altern anzugehen.
Momentan gibt es verschiedene Quellen, die Migrationsdaten nach Alter aufschlüsseln. Da allerdings viel Aufmerksamkeit den besonders schutzbedürftigen Personen geschenkt wird, insbesondere Frauen und Kindern, werden Daten zu älteren Migrantengruppen nur selten aufbereitet und verwendet. Die Erhebung und Aufschlüsslung von Migrationsdaten nach Alter ist nicht ausreichend, um die Probleme anzugehen, mit denen sich ältere Menschen im Zusammenhang mit Migration konfrontiert sehen. Ältere Menschen stehen in Verbindung mit Migrationsfragen häufig nicht im öffentlichen Diskurs, was ihr Schutzbedürfnis und bestehende Ungleichheiten jedoch verstärken könnte. Ferner fehlen Daten zu „zurückgelassenen“ älteren Personen und zu ihren Bedürfnissen.
Definition
Rechtliche Definition einer älteren Person:
Die Vereinten Nationen betrachten Menschen ab 60 Jahren als „ältere Personen“. Dieses Alter wurde festgelegt, damit mehr Menschen berechtigt sind, an Entwicklungsprogrammen im Zusammenhang mit dem Altern teilzunehmen (UN, 2001 in WHO, 2002).
Chronologische Definition einer älteren Person:
Die Definition der Vereinten Nationen wird nicht in jedem Zusammenhang verwendet. Je nach Land gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. In den meisten Fällen wird ein „älterer Mensch“ als eine Person im Rentenalter, die entsprechende staatliche Leistungen bezieht, definiert (WHO, 2002). Daher unterscheidet sich das Alter eines „älteren Menschs“ je nach Land und Organisation. In den meisten Ländern mit einem hohen Lebensstandard wird ein Mensch ab 65 Jahren als „älter“ definiert. Die Altersgrenze wird unterschiedlich festgelegt, da die staatliche Altersvorsorge meist im Zeitraum zwischen 60 und 65 Jahren bezogen werden kann (Roebuck, 1979).
Gesellschaftliche und kulturelle Definition einer älteren Person:
Über die chronologische Definition einer „älteren Person“ hinaus, die auf dem Renteneintrittsalter beruht, gibt es auch eine gesellschaftliche und kulturelle Definition, die auf dem Wandel sozialer Rollen (z.B. Austritt aus der Arbeitswelt) und schwindenden physischen und geistigen Kräften (z.B. Altersschwäche oder körperliche Eigenschaften) beruht (Glascock, 1980). Jedoch ist eine solche gesellschaftliche und kulturelle Definition einer „älteren Person“ statistisch nur schwer greifbar. Menschen, auf die diese Definition zutrifft (z.B. ein 59-jähriger Migrant, der aufgrund von Altersschwäche eine andere soziale Rolle einnimmt), wird statistisch gesehen in der falschen Alterskategorie (Erwerbsalter: 19-64 Jahre) erfasst und bei der politischen Entscheidungsfindung und Planung daher nicht berücksichtigt.
Folgende Definitionen werden auf dieser Themenseite verwendet:
Ein älterer Migrant oder eine ältere Migrantin ist eine ausländische Person, die entweder im Alter ab 65 Jahren in das Aufnahmeland ausgewandert ist, zum Beispiel im Zuge des Familiennachzugs, oder in der Vergangenheit in das Aufnahmeland ausgewandert ist und dort das Rentenalter erreicht hat bzw. im Alter ab 65 Jahren aufgrund von Konflikt vertrieben wurde und das Rentenalter während der Vertreibung erreicht hat.
Nach Alter aufgeschlüsselte Daten sind unter dem Gesichtspunkt des Alters dargestellte Informationen (z.B. Ausländeranteil). Das Alter ist ein wichtiger Gesichtspunkt bei Migrationsdaten und kann dabei helfen, Ungleichheiten aufzuzeigen, Fortschritte auszuweisen oder politische Entscheidungsträger im Hinblick auf Fragen von Alter und Migration zu informieren.
Wesentliche Entwicklungen
Ältere Menschen stellen geschätzte 34.3 Millionen (12,2 Prozent) des internationalen Migrantenbestands Mitte 2020 (UN DESA, 2020). Zu dieser Schätzung gelangt man, wenn die im Ausland geborene oder ausländische Bevölkerung stellvertretend für den internationalen Migrationsbestand verwendet und nach Alter gegliedert wird. Im Zeitraum von 1990 bis 2020 bewegte sich der prozentuale Anteil älterer Migrantinnen und Migranten am internationalen Migrationsbestand konstant bei circa 12 Prozent. Die geschätzte Zahl älterer Migranten und Migrantinnen im Alter ab 65 Jahren stieg in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen im Zeitraum von 1990 bis 2020 um fast 16 Millionen. Hingegen stieg diese Zahl in Entwicklungsländern nur um 76 587 (ebenda). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Migrantinnen und Migranten mehrheitlich in Industrieländer einwanderten und dort alterten. Die Tatsache, dass Migrantinnen und Migranten in Entwicklungsländern mit höherem Alter bevorzugt in ihre Herkunftsländer zurückkehren, erklärt, weshalb die geschätzte Zahl älterer Migrantinnen und Migranten nur in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen steigt (ebenda).
Weltweit betrachtet übersteigt die Zahl älterer Migrantinnen jene der älteren Migranten. Mitte 2020 stellten ältere Migrantinnen 6,8 Prozent des internationalen Migrantenbestands, während ältere Migranten 5,4 Prozent ausmachten (ebenda). Anteilsmäßig an allen Migranten über 65 Jahren machten Frauen 56 Prozent aus. Im Jahr 2020 war der geschätzte Anteil Migrantinnen an allen Migranten in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen höher; dieser betrug 56 Prozent bzw. 52 Prozent in Entwicklungsländern (ebenda). Der höhere Anteil von Frauen am Bestand ist dadurch zu erklären, dass ältere Migrantinnen tendenziell ein höheres Alter als ältere Migranten erreicht. Diese Feststellung deckt sich mit Entwicklungen in der Gesamtbevölkerung.
Die Ergebnisse einer vergleichenden Studie zum Altern in Haushalten mit und ohne Migranten in Ländern mit einer hohen Auswanderung – darunter Kirgistan, Mosambik und Jamaika – ergab, dass es in diesen Ländern viele Haushalte gab, in denen eine Generation „fehlte", d.h. ältere Personen, die mit ihren Enkelkindern lebten (UNFPA und HelpAge International, 2012). Die Studie ergab, dass ältere Personen womöglich ihre sich im Ausland befindenden erwachsenen Kindern bei der Kinderbetreuung, der Haushaltsführung und in finanzieller Hinsicht unterstützten.
Datenquellen
Daten zum Thema Ältere Menschen und Migration werden, wie auch bei verwandten Themen, durch Volkszählungen, Register (z.B. Bevölkerungsregister, Behördendaten zu Ausländern oder Asylsuchenden u.ä.), Umfragen (von Einzelpersonen auf Mikroebene, Haushalten oder landesweit) sowie durch qualitative Studien gewonnen.
In einer Datenbank zum internationalen Migrationsbestand trägt die Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN DESA) Daten zur im Ausland geborenen bzw. ausländischen Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Herkunft zusammen. Daten zu älteren Migranten und Migrantinnen sind in der Alterskategorie ab 65 Jahren zu finden. Diese Alterskategorie wird in folgende Unterkategorien unterteilt: 65-69 Jahre, 70-74 Jahre und über 75 Jahre.
Die DESA-Datenbank zur Alterung und Entwicklung der Bevölkerung (2015) weist Daten zu vier Kernbereichen aus: Bevölkerungsgröße und Altersstruktur, Gesundheit und Sterblichkeit, soziale und gesellschaftliche Faktoren sowie Bevölkerungspolitik. Im Rahmen sozialer und gesellschaftlicher Indikatoren werden Schätzungen zum Anteil von Migrantinnen und Migranten über 65 Jahren vorgenommen. Die Daten sind für alle UN-Mitgliedsstaaten verfügbar.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verfügt über eine Datenbank zur Einwanderung in OECD-Mitgliedsstaaten und Nichtmitgliedsstaaten (DIOC-E). Hier sind Daten zu 100 Herkunftsländern und mehr als 200 Zielländern zu finden. Die Daten sind unter dem Gesichtspunkt von sieben Variablen aufgegliedert: Alter, Geschlecht, Aufenthaltsdauer, Arbeitsmarktergebnisse, Studienrichtung, Geburtsort und Qualifikationen. Die in der OECD-Datenbank verfügbaren Informationen beruhen auf Volkszählungen im Jahr 2010.
Eurostat, das EU-Statistikamt, verfügt über eine Datenbank zum Thema Bevölkerung und soziale Bedingungen. Hierin werden Daten der EU-Innenministerien zu Asyl und gesteuerter Migration, Einwanderungsbehörden und nationalen Statistikämtern zusammengetragen. Hier zu finden sind Daten zu Asylanträgen, Aufenthaltsbewilligungen und zur Umsetzung des Einwanderungsrechts. Die Daten werden nach Alter aufgeschlüsselt.
Der Global AgeWatch Index des Hilfswerks HelpAge International verwendet international vergleichbare Daten der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen, der Weltbank, der Weltgesundheitsorganisation, der Weltarbeitsorganisation, der UNESCO und der weltweit durchgeführten Gallup-Umfrage zum Thema Alter und Fähigkeiten (darunter Qualifikationen und Erwerbsstatus). Der Index misst das Wohlergehen älterer Personen. Der Global AgeWatch Index umfasst keinen Indikator, der die Auswirkungen von Urbanisierung und Migration auf das Auskommen älterer, allein lebender Menschen in ländlichen Gebieten betrachtet. Jedoch verfügt HelpAge International über ein fundiertes Datenvolumen aus auf Umfragen von Einzelpersonen in verschiedenen Herkunftsländern basierenden Forschungsprojekten zu den Auswirkungen der Migration auf „zurückgelassene“ Personen in Mehrgenerationen-Haushalten.
Das Oxford Institute of Population Ageing erforscht die Alterung der Bevölkerung in Zusammenhang mit weiteren Themen, darunter Migration. Die durch das Institut gewonnenen Erkenntnisse werden von Partnernetzwerken in Afrika (AFRAN), Lateinamerika (LARNA) sowie in Zentral- und Osteuropa (EAST) umgesetzt. Das Institut verfügt über eine Bibliografie von qualitativen Studien und den im Rahmen der Global Ageing Survey 2005-2008 (GLAS) erstellten Forschungsberichten.
Neben etablierteren Datenquellen bieten Fortschritte im Technikbereich die Möglichkeit, Daten differenzierter zu betrachten. Zum Beispiel wurden im Rahmen des Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) anhand von Blockchain-Technologie virtuelle Konten für Geflüchtete im jordanischen Flüchtlingslager al-Azraq eröffnet. Auf diese Konten wurden monatliche Beträge überwiesen, welche die Kontoinhaber mit einem Autorisierungscode im Supermarkt des Lagers verwenden konnten (Solon Ardittis, 2018). Die Auswertung des Konsumverhaltens der Teilnehmenden – sofern datenschutzrechtliche Grundsätze eingehalten werden – eröffnet in Verbindung mit den nach Alter aufgeschlüsselten Umfragedaten die Möglichkeit, die tatsächlichen Bedürfnisse älterer Menschen zu verstehen.
Im Zusammenhang mit Migration gilt es, das Alter als Bereicherung zu sehen und den weltweiten Diskurs, der das Altern als eine Belastung und ältere Menschen als eine nicht an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhabende Gruppe darstellt, in eine andere Richtung zu lenken. Es besteht die Notwendigkeit, die Qualität, die Einheitlichkeit und den Nutzen von nach Alter aufgeschlüsselten Daten zu verbessern, jedoch ist noch zu wenig über die Situation älterer Migranten und Migrantinnen, aber auch jener der vom demografischen Wandel betroffenen älteren Personen bekannt.
Aufgrund folgender Probleme sind nur begrenzt Daten verfügbar:
Es gibt zwar Schätzungen zu älteren Personen bzw. älteren Migrantinnen und Migranten, jedoch sind diese nicht für sämtliche Länder und Regionen der Welt verfügbar. Zum Beispiel sind Millionen älterer Menschen nicht in international vergleichbaren Datenbanken enthalten, da einzelne Länder in Afrika, dem Nahen Osten sowie im Karibik- bzw. Pazifikraum über keine diesbezüglichen Daten verfügen (HelpAge International, 2015). Diese Länder haben entweder begrenzte oder keine Kapazitäten, um solche Daten zu erheben und nach Alter aufzuschlüsseln. Daher ist die Größe der älteren Bevölkerung weiterhin unbekannt.
Weitreichende finanzielle Mittel werden zur Unterstützung schutzbedürftiger Personen, insbesondere Frauen und Kinder, aufgewendet. Jedoch werden ältere Menschen bei der politischen Entscheidungsfindung und Entwicklungsprogrammen oft nicht repräsentiert, obwohl sie in offiziellen Statistiken enthalten sind. Statistiken allein sind nicht ausreichend, um die Bedürfnisse älterer Migrantinnen und Migranten sowie „zurückgelassener“ älterer Menschen aufzugreifen. Politische Entscheidungsträger und die Entwicklungshilfe müssen ältere Menschen als Migrantengruppe ebenso wie Frauen oder Kinder berücksichtigen.
Daten zu Binnenvertriebenen umfassen keine älteren Personen, die oft in ihrem Land zurückbleiben, während andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft vertrieben werden. Daher ist es wichtig, die Daten zu den Umständen älterer Menschen im Zusammenhang mit Binnenvertreibung, die mit Gewalt, Einschüchterung oder den Folgen von Naturkatastrophen konfrontiert sein können, zu konsolidieren (Calvi-Parisetti, 2013).
In Unterkünften für Binnenvertriebene sind die Möglichkeiten der Datenerhebung begrenzt. Ältere Binnenvertriebene haben andere Bedürfnisse, wenn es um die medizinische Versorgung, psychologische und gesellschaftliche Unterstützung sowie die Ernährung geht; nach allen Alterskategorien aufgeschlüsselte Daten werden nur selten erhoben (ebenda). Darüber hinaus ist wenig zu den Migrationsströmen binnenvertiebener älterer Personen aus ländlichen in städtische Räume bekannt.
Es gibt verhältnismäßig wenige Studien zur Verbindung zwischen der Migration und dem Altern, insbesondere zur Süd-Süd Migration und zu den gesellschaftlichen Kosten von älteren Menschen, die durch Migrantinnen und Migranten zurückgelassen werden. Auch Erkenntnislücken zur Einwanderungspolitik im Zusammenhang mit Migration im Alter sind zu schließen (UNFPA, 2012).
Daten zu älteren irregulären Migrantinnen und Migranten sind in der Regel nicht verfügbar. Es gilt, weitere ethnografische Studien durchzuführen und auf die bestehenden Erkenntnisse aufzubauen, um somit die Dynamik des Alters bei irregulärer Migration zu verstehen.
Weiterführende literatur
2017 Ageing, Older Persons, and the 2030 Agenda for Sustainable Development, UN DESA and HelpAge International, New York.
2011 Current Status of the Social Situation, Well-Being, Participation in Development and Rights of Older people Worldwide, UN DESA, New York.
HelpAge International and Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC)
2012 The Neglected Generation: The Impact of Displacement on Older People, HelpAge International and IDMC, London.
HelpAge International and the United Nations Children's Fund (UNICEF)
2010 Staying Behind: The Effects of Migration on Older People and Children in Moldova, HelpAge International and UNICEF, Brussels.
International Monetary Fund (IMF)
2018 World Economic Outlook: Cyclical Upspring, Structural Change, International Monetary Fund, Washington.
Samuel Hall and HelpAge International
2017 Older People in Situations of Migration in Africa: The Untold Migration Story, Samuel Hall, Berlin.
United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR)
2013 Working with Older People in Forced Displacement, UNHCR, Geneva.
Dwyer, P. and Papadimitriou, D.
World Health Organization (WHO)
2008 Older People in Emergencies: Considerations for Action and Policy Development, WHO, France.